Rückblick auf den Online-Workshop zur rassismuskritischen Organisations- entwicklung
Wie wirken koloniale Strukturen in unsere Gegenwart hinein? Und was bedeutet das für Organisationen, die sich für Gerechtigkeit, Diversität und Teilhabe einsetzen wollen Mit diesen Fragen setzte sich der vierte Workshop des Reallabor Zukunft von Wir bauen Zukunft auseinander. Unter dem Titel “Koloniales Erbe heute” führte Janice Owen-Aghedo, systemische Organisationsberaterin und Aktivistin, am 08.07.2025 durch einen intensiven, reflektierenden und dialogischen Tag.
Koloniales Erbe: Unsichtbare Strukturen sichtbar machen
Was auf den ersten Blick wie ein Thema aus der Vergangenheit wirkt, erwies sich schnell als hochaktuell: Koloniale Denk- und Machtm
uster wirken fort – subtil, strukturell und alltäglich. In Organisationen zeigen sie sich unter anderem in homogenen Führungsetagen, der Bevorzugung bestimmter Kommunikationsstile, im Umgang mit Sprache und Fehlern oder in der Reproduktion eurozentrischer Wissensformen. Diese sogenannten kolonialen Kontinuitäten waren der rote Faden des Workshops. “Viele Organisationen arbeiten nach Normen und Hierarchien, die aus kolonialen Zeiten stammen oder diese Denkweisen fortführen,” so Janice.
Statt mit dem Zeigefinger zu arbeiten, geht es Janice um Aufklärung und Selbstreflexion. “Wir alle sind in einer rassistischen Gesellschaft sozialisiert worden. Rassismuskritik bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und Privilegien zu erkennen”, so die Referentin. Dabei betonte sie, dass weiß sein nicht als Hautfarbe, sondern als gesellschaftliche Machtposition zu verstehen ist – ein zentrales Prinzip der Critical Whiteness-Perspektive.
“Weißsein ist keine biologische Eigenschaft, sondern eine gesellschaftlich hergestellte Position – oft unbenannt, aber machtvoll.”
Zwischen Theorie und Praxis: Wo fangen wir an?
Der Workshop verband theoretischen Input mit gelebter Praxis. In Gesprächen und Gruppenarbeiten berichteten die Teilnehmenden von konkreten Erfahrungen aus ihren Organisationen: von Ausschlüssen im Bewerbungsprozess, rassistischen Mikroaggressionen im Alltag, von Netzwerken, die unbeabsichtigt weiß bleiben, oder von der Belastung durch “unsichtbare Aufklärungsarbeit” – vor allem für Mitarbeitende, die selbst von Rassismus betroffen sind.Diese Perspektiven machten deutlich: Rassismus ist kein Randphänomen, sondern strukturell. Er wirkt durch Routinen, Werte, Bilder und unausgesprochene Erwartungen – und damit mitten hinein in das, was Organisationen als “professionell” oder “normal” begreifen.
Widerstand ist Teil des Prozesses
Ein zentrales Thema war der Umgang mit Widerstand: “Rassismuskritische Arbeit ruft Fragen, Unsicherheit und auch Angst hervor”, erklärte Janice. “Das ist normal – aber kein Grund, nicht weiterzugehen.” Typische Formen des Widerstands: die Verleugnung des Problems (“bei uns gibt es sowas nicht”), Angst vor Machtverlust, Bequemlichkeit oder auch emotionale Überforderung.Dem gegenüber stellte Janice die Idee eines mutigen Raums, in dem Verletzlichkeit erlaubt ist, aber auch Verantwortung getragen wird. Lernen darf unbequem sein. Es braucht Pausen, Respekt und die Bereitschaft, die eigene Rolle immer wieder zu hinterfragen.
Eine Reise in mögliche Zukünfte
Ein besonderer Moment des Workshops war die angeleitete Visionsreise. In einer geführten Imaginationsübung lud Janice die Teilnehmenden dazu ein, sich eine Organisation vorzustellen, in der rassismuskritisches Denken tief verankert ist.Wie fühlt sich ein Raum an, in dem Vielfalt nicht nur sichtbar, sondern gelebte Praxis ist? Welche Stimmen sind am Tisch, wenn Entscheidungen getroffen werden? Welche Sprache wird verwendet, wie wird mit Fehlern umgegangen? Die Visionsreise öffnete einen inneren Raum jenseits des Bekannten hin zu Möglichkeiten, wie Organisationen gerecht, inklusiv und mutig gestaltet sein könnten.Teilnehmende beschrieben die Erfahrung als “ermutigend”, “erweiternd” und “emotional bewegend”. Eine Person brachte es auf den Punkt: “Ich habe gespürt, wie sich eine Organisation anfühlen kann, in der nicht Anpassung, sondern Zugehörigkeit zählt.”
Vom Wissen ins Handeln
Zum Abschluss erarbeiteten die Teilnehmenden in Kleingruppen erste konkrete Schritte für ihre Organisationen. Leitfragen dabei waren: Wo erleben wir Widerstände? Welche ersten Veränderungen sind möglich? Und wie kann Mut für unbequeme Gespräche entstehen?
Der vielleicht wichtigste Satz des Tages kam am Ende:
“Rassismuskritisch sein heißt nicht nur divers zu wirken, sondern Strukturen so zu verändern, dass Diskriminierung keinen Platz mehr hat.”
Ein Tag voller Erkenntnisse, Emotionen und Gespräche auf Augenhöhe. Der Workshop hat gezeigt: Rassismuskritische Organisationsentwicklung ist keine Checkliste, sondern ein Lernprozess – unbequem, notwendig und voller Potenzial.
Leseempfehlungen von Janice:
- I Know Why the Caged Bird Sings – Maya Angelou
- Neighbours and other Stories – Diane Oliver
- All About Africa – Stève Hiobi
- The Help – Kathryn Stockett
- Und jetzt du – Tupoka Ogette
Mehr Infos: https://imap-institut.de/de/team-mitglied/janice-adesuwa-owen-aghedo/